Dr. med. Uwe Auf der Strasse
Fall 3
Frau Silke H., 54 J.
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2007 wurde Frau H durch einen Zeckenbiss mit Borreliose infiziert, mit einer Verzögerung von etwa 3 Monaten wurde sie über 6 Wochen mit Doxycyclin behandelt. 2009 wurde im Zusammenhang mit einer Gewichtszunahme eine Schilddrüenentzündung (Hashimoto-Thyreoiditis) festgestellt, und seither entsprechend mit L-Thyroxin behandelt. Gleichzeitig bestanden aber auch Gelenkschmerzen, starke Schmerzen im Steißbereich, an den Sehnen-ansätzen und der Achillessehne des linken Fußes. Außerdem entwickelte sich eine Angsstörung mit extremem Lampenfieber und anderen Ängsten, dies ist bei einer erfahrenen Berufsmusikerin sehr ungewöhnlich. Rheumatologische Untersuchungen ergaben keine fassbare Ursache der Erkrankung.
2011 wurde aufgrund unklarer Schmerzen und Schwellung des rechten Knies eine Knie-spiegelung vorgenommen. Es fand sich eine ausgeprägte Entzündung der Gelenkschleimhaut, eine rheumatische Erkrankung wurde erneut ausgeschlossen.
Ab etwa 2013 bestanden starke Schmerzen der Sehnen und Karpaltunnelsyndrome an beiden Händen, es folgten mindestens 5 Operationen an den Händen ohne dass eine Besserung erzielt werden konnte, Frau H musste ihre Tätigkeit als Orchestermusikerin fast vollständig einstellen. Bie Ende 2014 verstärkten sich die Schmerzen immer mehr, schließlich mussten Frau H sogar Morphinpräparate verordnet werden, um die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, sie war für viele Monate arbeitsunfähig. Begleitet wurden die Schmerzen von einer ständigen Müdigkeit und bleiernen Erschöpfung.
In den Folgejahren dehnten sich die Schmerzen auf immer mehr Gelenke aus, Frau H hatte große Schwierigkeiten länger zu sitzen, zu stehen oder zu laufen. 2018 wurde ein LTT Test auf Borrelien durchgeführt, dieser war erneut positiv und es wurde erneut über 4 Wochen mit Doxycyclin behandelt, jedoch ohne dass sich die Symptome besserten. 9/2020 fasste Frau H ihre Symptome wie folgt zusammen:
„Schlafstörungen, extremes Hitzeempfinden besonders stark in der Nacht, brennende Augen, Schleiersehen und Verschlechterung der Sehstärke in relativ kurzer Zeit, starke Morgensteifigkeit und Steifigkeit immer nach Verharren in einer Position, starke Müdigkeit ohne wirkliche Erholung, Aufgrund der starken Schmerzen Gangunsicherheit und Befürchtungen zu stürzen, Luftnot schon nach kleineren Anstrengungen, Lymphknotenschwellungen am Hals hinten, häufige Kopf-schmerzen, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen (..)“
Folgende Krankheitserreger waren zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschlossen worden: Chlamydia Trachomatis und Pneumophilae, Bartonellen, Anaplasmen, Ehrlichia und Rikettsien. Die Toxoplasma IgG Antikörper waren mit einem Titer von 1:320 positiv, die IgM und IgA Antikörper negativ. 10/2020 war der Toxoplasma LTT mit 9,4 SI deutlich positiv, ein erneuter Borrelien LTT war negativ. Aufgrund von Terminschwierigkeiten konnten wir erst 11/2020 mit einer
rotierenden Therapie wie in Fall 1 starten: Daraprim 25 mg 2 x 1 und Calciumfolinat 6,35 mg 1 x 1 wurden kontinuierlich eingenommen. Dazu wurde zunächst für 5 Tage Cotrim forte 2 x 1 kombiniert, nach 5 Tagen wurde dies auf Clarithromycin 500 2 x 1 gewechselt, nach weiteren 5 Tagen wurde auf Clindamycin 300 mg 3 x 1 gewechselt, anschließend wiederholte das Schema wieder. Unter dieser rotierenden Therapie kam es nun zu einer kontinuierlichen Besserung. Die Behandlung erfolgte über einen Monat täglich mit nachfolgender Prophylaxe über 2 Monate.
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Checkliste
Toxoplasmose Frau / Herr Silke H.
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Alter: …54...Jahre Dauer 11 Jahre Intervalle ja / nein
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Toxoplasma IgG 1:320 IgM negativ
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LTT 9,4 SI Datum…......26.11.2020 Datum..............19.1.21
Behandlung: rotierende Therapie rotierende Therapie
Müdigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 X 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Muskelschmerzen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 X X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Konzentrations - 0 1 2 3 4 5 6 7 X 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
störungen
Schweißausbrüche 0 1 2 3 4 5 6 X 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Kurzatmigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 X 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Antriebslosigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 X 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
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Gereiztheit 0 1 2 3 4 5 6 7 8 X 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Sehstörungen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 X 10 0 X 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Schwindel 0 1 2 3 4 5 6 7 X 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Depression 0 1 2 3 X 5 6 7 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Ängste 0 1 2 X 4 5 6 7 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Morgensteifigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 X X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Wassereinlagerung 0 1 2 3 4 5 6 X 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Schlafstörungen 0 1 2 3 4 5 6 7 X 9 10 0 1 X 3 4 5 6 7 8 9 10
Gangunsicherheit 0 1 2 3 4 5 6 X 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Koordinationsstörung…..........................................................................................................
Oberbauchdruck 0 1 2 X 4 5 6 7 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Kopfschmerzen 0 1 2 3 4 5 X 7 8 9 10 0 1 X 3 4 5 6 7 8 9 10
Gelenkschmerzen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 X X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
LK – Schwellungen 0 1 2 3 4 X 6 7 8 9 10 X 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
SCORE 137 5
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Kommentar: Wahrscheinlich stand eine persistierende Borreliose über Jahre im Vordergrund der Erkrankung und schwächte die Patientin so sehr, dass eine Reaktivierung einer Toxoplasmose eintrat. Dies ist durchaus kein seltenes Risiko: weil die Durchseuchung mit Toxoplasma Gondii in Deutschland etwa 50% beträgt, ist statistisch betrachtet jeder 2. Borrelioseerkrankte gleichzeitig auch Träger einer Toxoplasmose, die eben potentiell aktiv werden kann. Im Falle einer gleichzeitig bestehenden Aktivität beider Krankheitserreger hat es sich bewährt zunächst die Borreliose zu behandeln, da Toxoplasmen häufiger dazu neigen Rückfälle zu verursachen.
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Der negative Borrelien LTT von 11/2020 zeigt dass die 2. Borreliosetherapie 2018 eigentlich effektiv war, die mangelnde Besserung erklärt sich am ehesten durch eine zu diesem Zeitpunkt schon bestehende reaktivierte Toxoplasmose. Erst nachdem auch diese behandelt wurde, gesundete die Patientin. Dieser Fall zeigt besonders eindrücklich, wie eine Toxoplasmose-Reaktivierung auf eine Borreliose folgen, die Erkrankung verschlimmern eine Heilung erheblich erschweren kann. Bisher kenne ich 4 Patienten deren Erkrankung so wie in diesem Fall kombiniert war. Sie konnten erfolgreich behandelt werden.
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